des FC⚡MC
Mitten im Protest
entstand etwas Neues:
Abschlusserklärung des
FC⚡MC
— Internationales Medienzentrum während des G20 in Hamburg
Final Declaration (english, HTML)
Declaración final (español, HTML)
Final Declaration (english, PDF)
Abschlusserklärung (deutsch, PDF)
Declaración final (español, PDF)
Am 4. Juli 2017 um 18 Uhr war es soweit: Das Medienzentrum FC⚡MC zum und gegen den G20-Gipfel in Hamburg nahm seinen Betrieb auf. Täglich fanden auf der Süd-Tribüne des FC St.Pauli-Stadions Pressekonferenzen der Gipfel-Kritiker*innen statt, untermalt durch den Lärm der Hubschrauber über der Stadt. Auf den Online-Medien wurden die vielfältigen Proteste, von Demonstrationen über Blockaden bis zu Tanzkundgebungen, begleitet. Dazu kam ein Live-Stream mit eigenen Beiträgen. Journalist*innen wurden Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt.
Das FC⚡MC verstand sich als einmalige mediale Intervention, um die Möglichkeiten einer kritischen Berichterstattung in den Tagen des Ausnahmezustands auszuloten. In diesem kurzen Beitrag möchten wir unvollständig festhalten, was das FC⚡MC als offenes, kollektives Experiment erreicht hat und was nicht.
Bestenfalls können unsere Gedanken anstiftend sein für künftige Auseinandersetzungen.
Plattform für alle
Im Rahmen der Pressekonferenzen äußerten sich täglich Aktivist*innen zu den Protestaktionen sowie zum G20-Gipfel und dem von ihm beförderten neoliberalen Profitdenken. Insbesondere kamen Stimmen aus dem globalen Süden zu Wort. Die Plattform wurde bewusst offen gehalten, um keine Spaltung der Protestbewegung in «gute», friedliche und «böse», gewalttätige Demonstrant*innen zu ermöglichen. Wir sind überzeugt, dass das FC⚡MC einen wichtigen Beitrag dazu leistete, eine solche Spaltung zu verhindern und umgekehrt die autoritären Folgen des Ausnahmezustands genauer zu verstehen. Die Idee eines kritischen Pluralismus, der es versteht, unterschiedlichen Protestströmungen eine gemeinsame Plattform zu bieten, drückte sich bereits in der pluralen Namensgebung des Medienzentrums aus: Forget Capitalism, Flowing Communards, Fruitful Collaborations, Friends of Critic und Future Culture sind nur einige der vielen möglichen Namen des FC⚡MC.
Du hast das Know-how
Das Medienzentrum FC⚡MC wurde nicht von einer politischen Gruppierung betrieben, sondern entstand vor und während des Protests aus einer temporären, offenen, sozialen Kollaboration verschiedener Netzwerke. Computertechniker*innen, Künstler*innen, Journalist*innen, Fotograf*innen, wie auch Köch*innen brachten gleichermaßen ihr Wissen ein. Das Motto könnte lauten: Federation of Competences. Das FC⚡MC kannte keine Hierarchie, und bis zuletzt wussten wir nicht, was eine Redaktion im Kontext des FC⚡MC genau ist. Es war für uns alle erstaunlich zu erleben, wie sich das Wissen und Know-How der einzelnen zusammenfügte und ein Ort für eine vielstimmige Berichterstattung entstand. Mitten im Protest entstand etwas Neues. Das FC⚡MC nutzte produktiv den G20 Ausnahmezustand zur Etablierung einer unwahrscheinlichen Singularität, die in all dem Wahnsinn um uns herum im Laufe der Woche durch kollektive Praxen verschiedene Funktionalitäten ausbildete. Was es an Planung gab, fand manchmal keine Praxis, und viel Praxis war ungeplant. Wir haben keine Klicks gemessen und wissen immer noch nicht, was Effektivität ist. Vielmehr hat das FC⚡MC insgesamt die Frage aufgeworfen, was kritische Berichterstattung im Kontext eines G20 Gipfels sein könnte und vielstimmige Angebote gemacht.
In guter Nachbarschaft
Ohne die Unterstützung des FC St.Pauli wäre das FC⚡MC so nicht denkbar gewesen. Das Stadion war rund um die Uhr ein sicherer Ort. Dieser Rückzugsraum für die journalistische Arbeit wurde von diversen Medienproduzierenden auf unterschiedliche Weisen genutzt. Die Hamburger Polit- und Kulturszene brachte ihre Erfahrungen im Erproben neuer Widerstandsformen und praktisches Material ein. Ankommende wurden mit Offenheit begrüßt, im Medienzentrum herrschte eine Atmosphäre der Neugier und des Vertrauens. Wir sind uns sicher, dass ein international ausgerichteter Widerstand erst recht möglich wird, wenn er den jeweiligen Stadtplan kennt.
Die Waffen der Polizei
Bereits im Vorfeld des G20 hatten die Politik und die Ordnungskräfte ihr Narrativ von drohenden bürgerkriegsähnlichen Zuständen mitten in einer Handelsstadt in die Welt gesetzt. Während der Proteste trug die Polizei mit zahlreichen Rechtsbrüchen und einer nicht gekannten Zahl an Einsatzkräften zur Eskalation bei. Das enge Zusammenspiel der sonst als geteilt beschriebenen Gewalten möchten wir besonders hervorheben, denn auch die sogenannte vierte Gewalt, die Presse, wurde in diese autoritäre Versuchsanlage eingespannt. Als starke Waffe erwies sich damit die PR der Behörden, die z.B. bei der Zahl der Verletzten aufseiten der Polizei massiv übertrieb, um den Protest zu diskreditieren, und die auch insgesamt und durchgängig durch gezielte Falschmeldungen die Presse wesentlich zu beeinflussen suchte - teils recht erfolgreich. Es ärgert uns im Nachhinein, diese durchschaubare Dramaturgie nicht in unsere Berichterstattung besser eingeplant zu haben.
Gelungen
Über den Livestream konnten zahlreiche Beiträge gesendet werden, in denen die Formen und Forderungen des Protests in ihrer ganzen Breite dokumentiert wurden. Dabei konnte Video-, Bild- und Textmaterial von der Straße eingereicht werden, wie das FC⚡MC auch eigene Berichte erstellte. Den Persönlichkeitsrechten galt bei der Bearbeitung eine spezielle Beachtung. Aber auch Fragen, wie mit problematischen Metadaten in den Medien-Dateien umzugehen ist, oder Schutz gegen Versuche, Computerviren einzuschleusen, wurden in der Infrastruktur berücksichtigt. Der gemischte Erfolg unserer Arbeit hat uns zur Einsicht geführt, dass die Vorstellung einer Gegenöffentlichkeit, wie sie seit Mai 68 kursiert, nicht länger taugt, sondern dass wir uns neue Strategien überlegen müssen, um die Auseinandersetzung um die Bilder in der massenmedialen Öffentlichkeit zu gewinnen. Schluss mit dem Riot-Porn. Es bleibt für uns eine offene Frage, ob es eine emanzipative Bildpolitik im Rahmen solcher Großereignisse überhaupt geben kann. Gelernt haben wir, dass diese Frage immer wieder aufs Neue gestellt werden muss, denn eine Antwort darauf kann nur in einer konkreten kollektiven Praxis gefunden werden.
Buenos Aires
Der nächste G20-Gipfel findet vom 30. November bis zum 1. Dezember 2018 in Buenos Aires in Argentinien statt. Wir sind gerne bereit, interessierten Aktivist*innen unser gesammeltes Wissen für die Berichterstattung zur Verfügung zu stellen oder in einem weiteren alternativen Medienzentrum mitzuarbeiten.